Von Silvia Ottow 24.02.2010
Original Artikel
Ungarn hat viele Gesundheitstouristen – die Deutschen sind zurückhaltend
Wer seine Zähne auf Vordermann bringen will oder gar Implantate an die Stelle verbrauchter eigener Beißerchen setzten möchte, der muss tief in die Tasche greifen. Billiger wird es, wenn der Patient dafür eine längere Reise in Kauf nimmt – beispielsweise ins ungarische Budapest.
Eszter Jopp hat keine Stimme mehr. Die 37-jährige Geschäftsführerin der FIRSTMED Services GmbH aus Stuttgart mit Depandance in Potsdam hat auf einer Messe in der baden-württembergischen Landeshauptstadt ihr Menschenmögliches getan, um den Besuchern eine Arztbehandlung in ihrem Heimatland Ungarn schmackhaft zu machen. Ihre Firma ist auf solche Gesundheitsreisen spezialisiert. Die Kunden kommen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien. FIRSTMED vermittelt ihnen Schönheitschirurgie, Wellness, Gesundheitschecks, Wirbelsäulenspezialisten und nicht zuletzt Zahnbehandlungen in den VitalCenterZahnkliniken der ungarischen Donaumetropole. Das Superangebot: ein Kennenlernpaket zum Preis von 139 Euro. Es enthält den Transport vom Flughafen in ein Drei-Sterne-Hotel, eine Übernachtung, eine Untersuchung sowie eine zahnhygienische Behandlung. Einen günstigen Flug bucht die Agentur ebenfalls. So kann sich der interessierte Patient ein Bild von der Klinik machen und sich vor Ort gezielt nach der gewünschten Behandlung erkundigen.
Implantate kosten nur die Hälfte
»Niemand von uns verdient an diesem Schnupperangebot«, erklärt Dr. Zoltán Óvári im VitalCenter, das praktischerweise im großen Budapester Einkaufszentrum MOM untergebracht ist. Es soll lediglich dazu dienen, deutsche Patienten zu akquirieren, denn sie kommen noch nicht in der gewünschten Zahl an die Donau. Während der ungarische Arzt, der seine Ausbildung sowohl in der Heimat als auch in Deutschland absolvierte und über zwei Diplome sowie einen Abschluss als »Master of Implantologie« verfügt, dies erzählt, bezahlt ein Patient seine Rechnung. Ein Bündel Schweizer Franken wird über den Tisch der blitzsauberen, kleinen Zahnarztpraxis gereicht. Viele Patienten kommen aus der Schweiz, jeder fünfte Dentaltourist ist aus Österreich. Rund 180 000 Zahnbehandlungen pro Jahr an deutschen Patienten ermittelte das ungarische Institut für Gesundheitsstrategie 2009. Im Jahr 2007 reisten dem Magazin »Focus« zufolge 300 000 deutsche Gesundheitstouristen nach Polen, Ungarn, Tschechien oder in die Türkei. Dass es mehr von ihnen nach Ungarn zieht, ist für die hiesigen Zahnärzte – in der zwei Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt Budapest praktizieren 250 Kollegen – eine Hoffnung. Allein von den ungarischen Patienten könnten sie wahrscheinlich wesentlich schlechter existieren. In Ungarn sind Zähne ganz und gar Privatsache, lediglich mit einer speziellen Vorsorgeversicherung kann man die Kosten für eine Behandlung etwas minimieren.
Dieter Enzel aus dem bayerischen Kaufering ist Patient bei Dr. Zoltán Óvári im Budapester MOM-VitalCenter. Einmal im Jahr kommt er zur Kontrolle hierher, denn er und auch seine Frau Hermine haben sich vor einigen Jahren Implantate setzen lassen. Der 69-jährige pensionierte Beamte ist des Lobes voll. »Sie werden super behandelt«, schwärmt er. In Deutschland hätte er für die Instandsetzung seiner Vorderzähne laut Kostenvoranschlag 11 000 Euro berappen müssen, da war kein einziges Implantat dabei und auch nicht die Beratung beim Kieferchirurgen, denn »wenn der in den Mund hineinschaut, ist der Euro mit dabei«. Und was die Preise für Implantate in Deutschland betreffe, so sei man hier »ja dem lieben Gott ausgeliefert«. Im ungarischen VitalCenter dagegen gebe es einen Komplettpreis, ein Implantat koste 800 Euro – inklusive Beratung durch den Kieferchirurgen und Röntgenaufnahmen. Er habe für seine Behandlung die Hälfte von dem gezahlt, was es in Deutschland gekostet hätte. Das Material sei ebenfalls aus Deutschland gewesen und der Service perfekt. Vom Abholen auf dem Bahnhof über die Hotelbuchung, die Papiere für die Beihilfe und die Krankenkasse, die Freundlichkeit der Ärzte bis hin zum Zeitplan fand er alles optimal. Komplikationen habe es nicht gegeben, er sei voll zufrieden. Fünf Jahre habe er Garantie. Mehr interessiere ihn als Patienten nicht.
Bürger innerhalb der Europäischen Union haben das Recht auf eine freie Wahl ihres Arztes, sie können diesen auch in Sopron (in dem 55 000-Einwohner-Städtchen an der Grenze zu Österreich gibt es etwa 300 Zahnärzte) oder im polnischen Szczecin (beliebt bei Berliner Zahnpatienten) aufsuchen. Das Prinzip ist dasselbe wie beim heimatlichen Zahnarzt: Zunächst lässt sich der Patient einen Kostenvoranschlag vom Dentisten machen, den er sich von der Krankenkasse bestätigen lässt. Dazu muss man noch nicht auf Reisen gehen. Es genügt ein Heil- und Kostenplan des Heimatarztes, auf dessen Grundlage der ungarische Kollege preisgünstiger kalkulieren kann, denn er hat niedrigere Laborkosten, Löhne und Mieten zu zahlen. Das Hin und Her besorgt ein Fax. Für Flug, Bahnkarte, Hotel, Taxi und Termine fühlt sich Eszter Jopp verantwortlich – wenn sich der Patient für eine der von ihr vertretenen Kliniken wie das VitalCenter entscheidet.
Zahnärzte in Deutschland sind in der Regel nicht so begeistert, wenn ihre Patienten den Zahnersatz anderswo machen lassen und appellieren nicht selten an deren Solidarität. Manche gehen sogar soweit, dass sie ihren Patienten erklären, sie würden sie nach einer solchen Auslandsbehandlung aus ihrer Kartei streichen.
Zahnarzttourismus boomt überall
Nach einer Befragung, die von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und der Bundeszahnärztekammer im vergangenen Jahr in Auftrag gegeben worden war, wählen deutsche Patienten allerdings eher selten den Weg in ausländische Arztpraxen. Nur etwa einer von hundert Versicherten ließ sich den Zahnersatz im Ausland machen. Zwar nehme der Import von Zahnersatz zu, nicht aber der Dentaltourismus. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass eine hohe Zahnarztbindung und die Einschätzung der medizinisch-technischen Qualität der Versorgung im Ausland als begrenzende Faktoren wirken. Vielleicht ist hier auch der Wunsch der Vater des Gedankens, denn die Behandlung und der Service in Ungarn werden von den Patienten gelobt und die Materialien kommen zu einem großen Teil aus Deutschland. Im internationalen Maßstab boomt der Zahnarzttourismus. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls die große Onlineplattform Reva Health Network. Häufigste Ziele für Zahnbehandlungen seien Ungarn, Thailand und Mexiko, für US-Patienten Costa Rica.
Martin Plass von der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) empfiehlt vor einer Zahnbehandlung im Ausland auf jeden Fall eine Beratung bei der Krankenkasse. Das sei vor allem für den Fall wichtig, dass es zu Komplikationen kommt und es um die Gewährleistung oder andere Rechtsfragen gehe. Es gebe auch unterschiedliche Bedingungen in den einzelnen Ländern, über die Krankenkassen aufklären könnten. Skepsis sei angeraten, wenn ausländische Zahnpraxen mit Urlaub werben, in dem nebenbei die Zähne gemacht werden sollten – warum auch immer.
Währenddessen versucht man in Ungarn, den Zahntourismus noch attraktiver zu machen. 2011, berichtet Csilla Mezösi vom ungarischen Tourismusamt, werde das Jahr des Gesundheitstourismus sein. Eszter Jopps Agentur wirbt mit schönen Hotels – eines davon hat sogar eine extra Speisekarte für die Zahnpatienten – und den Sehenswürdigkeiten Budapests, die man zwischen den einzelnen Behandlungen anschauen kann. Dieter Enzel aus Kaufering hat sie alle gesehen. Er kennt in der Stadt inzwischen »jeden Regenwurm beim Vornamen«, wie er sagt.